Bonn, den 16ten Juli 1825
das hätten meine Älteren nimmermehr geglaubt wenn ihnen vor vierzig Jahren gewahrsagt
wäre daß ich Ihnen von Bonn nach Heidelberg durch meine Schwester schreiben würde, lieber
Vater Voß, und auch ich würde es vor noch zwölf Jahren für eine Thorheit gehalten haben.
Es ist aber doch besser hier am Rhein zu wohnen als am Sund.
Ich hätte Ihnen längst gern Nachrichten gegeben wie es uns ergeht, zumal seitdem ich diese
stille Zurückgezogenheit in diesem Winkel gegen andres Ansinnen behauptet, wenn ich nicht
gewünscht Ihnen zugleich etwas für unsere gemeinschaftliche Wissenschaft erhebliches zu schreiben
oder gar zu senden. Dazu ist es nicht gekommen. Ihres Beyfalls für unseren Entschluß hier zu
bleiben bin ich gewiß: aber so Ihrer Theilnahme an der Lebensfreude zu der wir erwacht
sind seitdem wir eine sichere Zukunft vor uns sehen, und einen eigenen Garten besizen.
diesen zu verschönern ist uns eine liebe Sorge, wie Sie sie uns vor zwey Jahren wünschten –
wobey man den bellicosus Cantaber & Scythia völlig vergißt: - und wir sind wach für
eine Gelegenheit ein Haus zu erlangen was ebenso erfreulich sey als der Garten.
Auch erfreulich sind mir die Vorlesungen welche ich diesen Sommer halte: die Griechische Geschichte
seit
der Schlacht von Chäronea. Ich habe nicht geglaubt, daß das Licht welches aus dem festgehefteten
Ange…
ausgeht diese dunkeln Räume so erhellen würde: vieles, woran ich immer verzweifelt hatte, ist
aus der Nacht wieder hervorgegangen; und, wenn wenige ein solches Gedächtnis haben werden,
daß ihnen, wenn sie Thukydides durchgelesen, beydes das allgemeine Bild und die mannigfaltigen Ein-
zelheiten in Erinnerung bleiben, so habe ich, sollte ich denken, das allgemeine Bild dieser ver-
gessenen Zeit hergestellt, und nicht ohne Farben. Und diese vergessene Zeit ist auch eine ver-
achtete; große und mächtige Männer in ihr der Vergessenheit und Verachtung zu entziehen, hat
lebhaften Reiz.
Den Winter lese ich römische Alterthümer und vollende den dritten Band meiner…
die zweyte Ekdosis der ersten, welche sich, hoffe ich, Ihres Beyfalls erfreuen wird…
bey Gelegenheit der Erwähnung einer neuen Ekdosis – hat Dahlmanns Herodot Ihre…
ich denke, mit großer Prätension auf Alterthümlichkeit ist er höchst modern gedacht; …
andern die Vorstellung von den Ausgaben der großen Schreibenden, wo ihm die klaren…
nicht bekannt gewesen welche namentlich Aristoteles und Theophrasts Schriften gewähren, daß…
immerfort änderten und hinzufügten: aber so daß sie den Zusaz jedesmal hineinarbeit…
verso:
Wer ist denn der Hund welcher sich Menzel nennt, und Sie beißen möchte? Mit Ausnahme gar
weniger, kann ich Sie versichern, daß die hiesige Philologie Ihnen entschieden huldigt; und wenn man
nach dem urtheilen kann wie es bey uns steht, so haben Sie Kreuzern vollkommen abgethan. Mit
der Philologie steht es gut bey uns; wir haben viel erfreuliches unter den jungen Männern, und
mehr als man hätte möglich glauben sollen, da noch vor zwölf Jahren hier weit und breit nur
philologische Barbarey war. Inauguraldissertationen sind ein leidiges nothwendiges Übel; als
solches müßen Sie eine aufnehmen welche ich Ihnen in ein paar Monaten senden werde von einem
sehr lieben jungen Manne der meinem Marcus in Latein und Mathematik Unterricht gibt. Von
diesen Philologen wird hier mehr Licht ausgehen als andere löschen können: ich strebe, sie neben dem
grammatischen, was sie hier wirklich vortrefflich haben, auf das historische zu ziehen, ut sit mens
sana in corpore sano.
Meine Schwester wird Sie für uns befragen ob Sie wissen woher Spargel zu bekommen? und woher
feine Obstbäume? namentlich Gravensteiner?
Werden die Griechen sich noch retten? Wie viel Werth hat Ihnen Cannings Wohlwollen für den
Menschenmischmasch im spanischen Amerika, und seine Indifferenz für die neuen Rhodier und
Ägineten.
Philologische Entdeckungen haben wir doch stets neue: ein in der ewigen Natur, also in dieser unserer
ewigen Wissenschaft. Ich erwarte allerehestens den Commentar des Polychronius zum Daniel mit
reichen Auszügen aus Porphyrius: gewiß grade Restauration der seleucidischen Geschichte – und
künftiges Jahr erscheinen doch wohl die Eklogen des Porphyrogennetes aus Polybius w.f.w.
Meine herzlichen Grüße an Mutter Voß, und freundliche an Schlosser.
Ich umarme Sie, und grüße Sie mit aller Liebe und Verehrung.
Ihr Niebuhr
(Die)ses Jahr können wir nicht zu Ihnen kommen: aber im nächsten müßen Sie zu uns kommen,
oder wir zu Ihnen.